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Schwabensiedlungen in Polen

Jessica • 22. November 2022
Preußen – Schwabensiedlungen – Polen!? Wie hängen diese drei Begriffe geschichtlich zusammen? Was hat der preußische König mit der Auswanderung aus dem heutigen Baden-Württemberg zu tun? Um diese spannenden Fragen zu beantworten, drehen wir die Zeit zurück und machen uns gedanklich auf den Weg ins Herzen Polens, ins Gostyniner Land.

Ausgangslage: Die Teilung Polens

Nach der zweiten (1793) und dritten (1795) Teilung Polens kam ein großer Teil der historischen Landschaft Masowiens an Preußen und wurde als Provinz Südpreußen in das Königreich eingegliedert. Bereits vorher waren amtliche Stellen und private Grundbesitzer bemüht gewesen, deutsche Kolonisten für eine Siedlung zu gewinnen. Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm III. im November 1797 wurde eine umfangreiche Kolonisierungsaktion eingeleitet: Er wollte die riesigen Wald- und Sumpfgebiete der neuen Provinz durch Schaffung von Siedlungen urbar machen. Dazu wurde ein Plan ausgearbeitet, der zunächst festhielt, dass man keine Menschenverschiebungen innerhalb des Reiches wünschte und somit Einwanderer aus den alten preußischen Gebieten für die Kolonisierung nicht erlaubte. Dies lag vor allem daran, dass Preußen zu dieser Zeit verhältnismäßig schwach besiedelt war. Daher richtete man das Augenmerk auf die kleinen überbevölkerten süddeutschen Länder, wo es aufgrund der großen Armut viele Auswanderungswillige gab. Aus diesen Ländern zog es die Menschen bisher in die Neue Welt und insbesondere in die 1776 als unabhängig erklärte USA. Man wollte von diesem Auswanderungsstrom profitieren und die Menschen nach Südpreußen lenken.

Die Kolonisierung beginnt

Um diesen Plan umzusetzen, startete man eine große Werbekampagne: Die neuen Siedler sollten pro Person ein Reisegeld von 2 Groschen für jede zurückgelegte Meile erhalten. Wer ein Waldland zugewiesen bekam, sollte mit Rodungsgeldern unterstützt werden. Zehrgelder von 2 Groschen täglich für jede Person bis zu Zeit, wenn sie von der eigenen Wirtschaft leben konnte, und drei bis sechs Jahre Befreiung von der Steuer sowie Befreiung vom Soldatendienst für die Kolonisten und ihre eingewanderten Söhne wurden ebenfalls versprochen. Auch wollte Preußen Wohn- und Wirtschaftsgebäude sowie Brunnen, Wirtschaftsgeräte, Saatgetreide und Vieh auf Regierungskosten stellen.

Ende 1799/Anfang 1800 kam ein erster großer Strom von Schwaben in das Land, welches ihre neue Heimat werden sollte, und fanden nichts vor, wie es ihnen die Werber versprachen. Doch schon bald verbesserte sich die Situation. Zwischen 1801 und 1802 wurden die ersten schwäbischen Kolonisten in das Gostyniner Land gelenkt, welches sich nordwestlich von Warschau befindet. Hier wurden die sogenannten Schwabensiedlungen Leonberg, Neu-Dietlingen, Nagold und Luisental angelegt – die Heimatorte der ersten Siedler standen dabei Pate für die Namen der neuen Siedlungen. Alle wurden nach dem Prinzip des Liniendorfes angelegt. Dazu wurden die Orte mit preußischer Geradlinigkeit vermessen und die Parzellen entlang der Hauptstraße aneinandergereiht.

Karte der Schwabensiedlungen (Quelle: Historischer Atlas von Baden-Württemberg)

Leonberg erfuhr bei der Kolonisierung die beste Entwicklung: Bereits 1804/1805 waren insgesamt 58 Siedlungsstellen eingerichtet und das Dorf hatte 307 Einwohner, auch wenn den Siedlern hier relativ wenig Land zu Bewirtschaftung zur Verfügung stand. Von den 58 Familien kamen 48 aus Württemberg und 7 aus Frankreich, wobei es sich dabei wohl um Siedler handelte, die aus dem damals von Frankreich besetzten Teil Württembergs stammten.

Preußen geht – Russland kommt – die Schwaben bleiben

1807 musste Preußen jedoch die Provinz Südpreußen abtreten und Napoleon Bonaparte bildete das Herzogtum Warschau, welches ab 1815 zu Kongresspolen gehörte, aber defacto unter russischer Kontrolle stand. Die Schwabensiedlungen erhielten polnische Namen, auch wenn ihre Siedler weiterhin den deutschen Namen für ihre Heimat gebrauchten und auch sonst die deutsche Sprache beibehielten.

Auch wenn die Orte im Ersten Weltkrieg weitestgehend verschon wurden, trafen die Kriegshandlungen im Zweiten Weltkrieg die Siedlungen umso härter: Die einsetzende Industrialisierung hatte Fabriken entstehen lassen, die nun zerstört wurden und mehr als einmal zogen russische Soldaten durch die Orte, um alle Männer zu verschleppen, die sich manchmal auch wieder befreien konnten. Als die russische Offensive an der Weichsel begann, wurden die Orte quasi überrollt und nur wenige Dorfbewohner konnten fliehen. Viele wurden in Arbeitslager verschleppt.

Das Erbe

Insbesondere die Einwohner von Leonberg fanden sich nach der Flucht wieder zusammen: Ihr ehemaliger Prediger Steinberg war nun Bischof in Westdeutschland und setzte sich dafür ein, dass die Leonberger gemeinsam eine neue Heimat fanden: In einem ehemaligen Moorgebiet an der holländischen Grenze konnte sich die 4. bzw. 5. Generation nach der Kolonisierung des Gostyniner Landes wieder ansiedeln: Neugnadenfeld wurde zur neuen Heimat.

Quelle

Der Journalist Otto Heike, der selbst aus einem der Kolonistendörfer stammt, hat verschiedene Bücher zur Region und den Siedlern geschrieben, unter anderem das Buch „150 Jahre Schwabensiedlung in Polen 1795-1945“ und hier die Geschichte der Kolonisierung recherchiert und aufbereitet.

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