Als Wolfskind wird in der Wissenschaft jeder junge Mensch bezeichnet, der in jungen Jahren isoliert von anderen Menschen aufwächst und sich daher von sozialisierten Kindern im erlernten Verhalten unterscheidet. Oft können diese Kinder zudem nicht sprechen. Die Bezeichnung geht auf die Legende von der Gründung Roms zurück, in der die Jungen Romulus und Remus durch eine Wölfin aufgezogen wurden.
Die Bezeichnung Wolfskinder im Bezug auf den Zweiten Weltkrieg thematisiert die Kinder, welche nach der Schlacht um Königsberg (06.-09.04.1945) sowie anderen Kriegsfolgen zeitweise oder dauerhaft elternlos wurden. Sie wurden meist in das Baltikum und dort vorrangig nach Litauen vertrieben oder aufgetrieben und bewusst nach dorthin gebracht.
Vor allem die jungen Kinder wurden von litauischen Familien aufgenommen – jedoch meist nicht ohne Risiko für die Familie an sich. Von daher wurde alles Deutsche vernichtete: Der deutsche Name wurde in einen litauischen verändert, mögliche Andenken an die bisherige Familie wie Briefe oder Bilder vernichtet und die Kinder mussten schnell Litauisch lernen und durften kein Deutsch mehr sprechen. Nur so konnten sie in einer deutsch-feindlichen Umgebung überleben. Wer nicht fliehen konnte und vom sowjetischen Militär aufgegriffen wurde kam in Heime unter, ein Teil wurde in die sowjetische Besatzungszone – die spätere DDR – gebracht und dann, sofern sie die Fahrt in den Güterwaggons ohne Nahrung und mit nur wenig Wasser überlebten, an linientreue Kommunisten als Adoptivkinder vermittelt.
Die Schicksale der Wolfskinder wurden lange nicht beachtet und nach der Unabhängigkeit Litauens wurden den Betroffenen der deutsche Pass verweigert, denn dadurch, dass sie Ostpreußen verlassen haben, hätten sie auf ihre deutsche Staatsbürgerschaft verzichtet. Wer dennoch das komplizierte und langwierige Einbürgerungsverfahren auf sich nahm, erkannte bald, dass Deutschland nicht Ostpreußen und somit auch nicht die Heimat war – viele kehrten wieder nach Litauen zurück.
Doch dank der wissenschaftlichen Aufbereitung des Themas beispielsweise durch die Historikerin Ruth Leiserowitz und der Digitalisierung in der Familienforschung können manche Wolfskinder auch ihre Familienangehörige wiederfinden und so wenigsten einen Teil der verlorenen Heimat zurückerhalten. Im litauischen Mikytai gibt es seit 1992 das Wolfskinder-Denkmal für ostpreußische Mädchen und Jungen, die im Zweiten Weltkrieg oder während der Flucht zu Waisen wurden.
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