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Unser lieber Herr auf dem Dachboden

Jessica • Juni 30, 2023
Kleine Schreine in privaten Häusern sind keine Seltenheit und existieren auch heute noch und über Religionsgrenzen hinweg – aber eine ganze Kirche auf dem Dachboden!? Was soll das? Wer in Amsterdam zu Besuch ist, kann das Museum „Ons‘ Lieve Heer op Solder“ besuchen und ein geschichtliches Juwel entdecken. Das Haus im Oudezijd Voorburgwal 38 scheint ein ganz normales Grachtenhaus aus dem 17. Jahrhundert zu sein. Doch die Fassade trügt, denn in diesem Haus hat der Kaufmann Jan Hartman ein Heim für sich und seine Familie geschaffen hat – zusammen mit einer Kirche. Doch warum?
Hausansicht Oudezijd Voorburgwal 38

Die Ideen von Martin Luther haben schon früh in den Niederlanden, Belgien, Holland, Luxemburg und Nordfrankreich Eingang in das religiöse Leben gefunden. 1521 veranlasst Karl V. Verbote, doch der Calvinismus breitet sich immer weiter aus. 1566 werden katholische Kirchen von Protestanten gestürmt und Heiligenfiguren zerstört. Diesen sogenannten Bildersturm begründen die Protestanten mit dem zweiten Gebot „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis von Gott machen, um ihn damit zu verehren“. Um den Aufstand niederzuschlagen schickt Philipp II., König über die Länder der spanischen Krone zu denen auch die Niederlande zählen, eine Armee in die Niederlande, welche die Protestanten unnachsichtig verfolgen. Der Statthalter der Grafschaften Holland, Zeeland und Utrecht, Wilhelm Graf von Nassau-Dillenburg, Fürst von Oranien, ist selbst Protestant und verweigert daher Philipp II. den Gehorsam – er muss fliehen.


Alle Schreckenstaten der spanischen Armee verstärken den revolutionären Geist der niederländischen Bevölkerung und als Wilhelm von Oranien Truppen aufstellt, kommt es immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Nachdem der Zusammenschluss aller 17 Provinzen sich wieder aufgelöst hat, erklären sich die nördlichen sieben Provinzen (Geldern, Friesland, Holland, Overijssel, Stad en Lande, Utrecht und Zeeland) für unabhängig mit Wilhelm von Oranien als Statthalters.


Bild: Hausansicht Oudezijd Voorburgwal 38 (Foto privat)


Die Niederlande werden unabhängig

Wilhelms Toleranzpolitik

Wilhelm von Oranien verstand sich als frommer und gläubiger Christ, der mehrfach die Konfession wechselte. Ihm war die Spaltung des Christentums ein Dorn im Auge, denn seiner Meinung nach, war jeder Mensch frei, sich der Glaubensrichtung anzuschließen, die ihm zusagte.


Die Vereinigten Provinzen des Nordens legten als Staatsreligion den Calvinismus fest, jedoch mit einer Toleranz gegenüber anderen Kirchen wie den Katholiken, Lutheraner und Mennoniten.  Diese Religionen waren geduldet, auch wenn sie von offiziellen Fördergeldern ausgeschlossen und nicht in der Öffentlichkeit praktizier werden durften. Die Gläubigen durften also keine Gotteshäuser bauen, da sich diese in der Öffentlichkeit befanden. Daher suchten sie sich Alternativen in privaten Räumen und errichteten sogenannte Hauskirchen. Das Haus war privater Raum und so konnten die Gläubigen in den Häusern die Gemeindemitglieder zusammenkommen und religiöse Messen halten.


So auch im Haus von Kaufmann Jan Hartmann. Wenn man die Etagen mit den privaten Räumen der Familie hinter sich lässt, dann kann noch heute die Kirche im Dachgeschoss mit Altar und Galerie bewundert werden. Dahinter befanden sich die Räume für den Geistlichen, der die Dachkirche von Kaufmann Hartmann mietete.


Bild: Hauskirche (Foto privat)

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